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Autor Reiner Knizia
Verlag Pegasus Spiele
erschienen 2007
Spielerzahl 2-4
Spieldauer 120 Minuten
Wertung pic pic pic pic pic pic pic pic pic pic

Euphrat & Tigris

rezensiert von Walter Sorger

"Euphrat und Tigris" zu loben heißt soviel wie Eulen nach Athen tragen. Wer Spielrezensionen im Internet liest, muss ein Spielefreak sein, und wer ein Spielefreak ist, muss "Euphrat und Tigris" kennen und lieben. 1997 ist das Spiel bei Hans-im-Glück erschienen, und allein bei Luding sind dazu bis heute 44 Rezensionen registriert. Über die 12 Seiten sehr gut aufgebauter Spielregeln ein weiteres Mal zu referieren ist überflüssig wie ein Kropf.

Allerdings war "Euphrat und Tigris" lange Zeit ausverkauft und jetzt, nach einer langen Phase der Dürre, hat Pegasus von Hans-im-Glück die Rechte übernommen und eine neue Auflage herausgebracht. Das darf doch wohl als Anlass benutzt werden, ein paar Worte über ein Spiel zu verlieren, das es 1998 bis in die Auswahlliste zum "Spiel des Jahres" geschafft hat.

Das neue "Euphrat und Tigris" ist im Wesentlichen das gleiche Spiel wie vor zehn Jahren. Sein Design war damals schon ohne Fehl und Tadel und auch nach 10 Jahren weltweiter Spielerprobung gibt es keinen Grund, daran etwas zu ändern. Die Rückseite des Spielbretts hat lediglich eine alternative Anfangs-Geographie bekommen und das Spielmaterial wurde um vier "Zivilisationsgebäude" erweitert, die ähnlich wie die Tempel errichtet werden und Zusatzpunkte beim Anlegen von "Zivilisationplättchen" gewähren. Die Farben sind etwas wärmer geworden, das ursprüngliche steingrau wurde in ein ziegelbraun umgewandelt und die archaische Farben und Formen auf Steinen und Plättchen wurden in naturalistische Gemälde umgesetzt. Doch Charakter und Qualität des Spiels sind davon nicht berührt.

Eine magische Zahl in "Euphrat und Tigris" ist die Zahl Vier: Es gibt vier Dynastien (Löwe, Stier, Vase und Bogen) zu je vier Anführern (König, Priester, Händler und Bauer), es gibt vier Arten von Zivilisationsplättchen (Dorf, Tempel, Markt und Wiesen) und damit werden Siegpunkte in vier verschiedenen Farben (rot, grün, schwarz und blau) errungen. Am Ende gewinnt der Spieler, der in seiner schwächsten Farbe die meisten Punkte hat.

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Siegpunkte werden entweder auf friedliche Art erworben, indem ein Spieler ein Zivilisationsplättchen an ein Gebiet legt, wo sein Anführer herrscht, oder auf kriegerische Art, indem man das Gebiet eines fremden Spielers erobert. Mit diesen gegensätzlichen Spielweisen demonstriert "Euphrat und Tigris" das uralte Lebensprinzip von Jägern und Sammlern. Der Sammler sucht sich ein freies Fleckchen Erde aus auf dem er seine Aussaat ausstreut und sich auf die Ernte freut. Er legt seine Zivilisationsplättchen emsig und planvoll um seine Vierfelderwirtschaft herum und sucht gottesfürchtig nach einer geeigneten Formation, wo er Tempel-Monumente errichten kann, die ihm den himmlischen Siegpunkt-Segen sichern.

Der Jäger sieht hingegen in seinen Zeitgenossen nur Freiwild. Er lässt seine Augen abschätzend über ihre Siedlungen hinweg gleiten, sucht die einträglichsten Gebiete heraus und analysiert die schwächste Stelle der Verteidigung. Er greift an, beseitigt die fremden Anführer und schwingt sich selbst zum Herrn über Felder, Wiesen, Tempel und Siegpunktquellen auf. Wie im richtigen Leben. Die Sammler sind die Bürger, die Jäger sind das Militär (oder Arbeiter und Bauern gegen Globalisten und Spekulanten).

Wer mit gesellschaftskritischen Augen an "Euphrat und Tigris" herangeht, muss unweigerlich auf diese zwiespältige Konstellation im menschlichen Charakter eingehen. "Cliquenabend" zitiert in seiner bemerkenswerten Rezension zur neuen Ausgabe eine Carmen Sylva (Königin von Rumänien): "Der Krieg zwischen zwei gebildeten Völkern ist ein Hochverrat an der Zivilisation." und einen Benjamin Franklin (Gründerväter der Vereinigten Staaten): "Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden."

Doch es lohnt nicht, über den Zerfall der Menschheit in Schafe und Wölfe zu räsonieren. Die Spielanleitung schreibt: "Zu allen Zeiten ging der Fortschritt der Zivilisation einher mit dem Werden und Vergehen der Macht Spannend war es allemal - wenn auch unterschiedlich erfolgreich für die Beteiligten." Verlieren wir lieber noch ein paar Worte über das erfolgreiche Vorgehen im Spiel.

  1. Alle Anführer sollten so schnell wie möglich ins Spielbrett gebracht werden. Verlieren sie einen Kampf und fallen heraus, dann nicht lange trauern, sondern sie unverzüglich wieder einsetzen. Sie sind unbedingt nötig zum Kassieren für Siegpunkte beim Leben von Zivilisationsplättchen. Und manchmal kassieren sie sogar bei den Zügen der Mitspieler mit.

  2. boardVor allem der Händler sollte in der Anfangsphase immer auf dem Brett stehen. Er muss seine Arme immer bereit haben, um beim Zusammenwachsen zweier Reiche das freiwerdende Schatzklötzchen aufzufangen.

  3. Mit dem Bau von Tempel-Monumenten erst beginnen, wenn die Stellung der dabei privilegierten Anführer gut abgesichert ist. Ein Tempel-Monument schwächt die Hausmacht eines Anführers um vier ganze Tempeleinheiten und schiebt ihn damit unverzüglich ins Visier seiner kriegerischen Mitspieler.

  4. Wenn Tempel-Monumente vorhanden sind, bei jedem Zug nachschauen, ob man dabei eine privilegierte Anführerrolle erobern kann. Pro Zug kann man nur durchschnittlich etwa zwei Siegpunkte erzielen. Ein kostenloser Siegpunkt über das Tempel-Privileg ist dabei bereits die halbe Miete.

  5. Früher oder später hat jeder Spieler Überfluss in einer Siegpunkt-Farbe aber Mangel in einer anderen. Dann heißt es unbedingt umsatteln. Am einträglichsten ist dann ein Sieg in einem externen Konflikt. Dieser Konflikt muss sorgfältig geplant werden, z.B. durch Sammeln der richtigen Zivilisationsplättchen. Nicht immer den schwächsten Gegner angreifen, sondern den reichsten; die Beute bestimmt den Erfolg oder Misserfolg eines Sieges, nicht die Machtübernahme.

  6. In Katastrophenplättchen steckt eine ungeheuere Macht. Fast in jeder Spielsituation lässt sich die Stellung eines dominanten Anführers durch Katastrophenplättchen unterminieren. Sucht nur danach! Doch haben Katastrophenplättchen auch ein Verteidigungspotential! Mit ihnen kann der Weg zu einem externen Konflikt entscheidend verlängert oder verbaut werden. Damit kann man ein ertragreiches Gebiet länger gegen fremde Eroberung schützen.

Diese Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend. Die Prinzipien für gute oder schlechte Züge in "Euphrat und Tigris" sind noch lange nicht erforscht. Jeder Leser ist angehalten, seinen Senf dazuzugeben. In diesem Spiel steckt die Herausforderung eines Schachspiels. Wo ist der überlegene Großmeister vom Format eines Tarrasch, der die Elemente Raum, Zeit und Kraft am Euphrat analysiert und der Allgemeinheit zugänglich macht? Wir können alle noch jahrelang an unserer erfolgreichsten Strategien feilen und hoffen, dass es immer genügend Gegner gibt, die nicht auf der Strecke geblieben sind. Wenigstens vor dem Spiel.

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