05.10.2016: Lieber bairisch sterben

Nein, der Titel ist kein Schlachtruf vom Oktoberfest. Und der Gegensatz zum Eigenschaftswort „bairisch“ wäre nicht „preußisch“ sondern „österreichisch“. Es geht um einen der vielen Kriege, den die beiden bluts- und seelenverwandten Volksstämme miteinander geführt haben, und zwar die einheimischen rebellierenden Bauern gegen die kaiserlich-österreichische Besatzungsmacht.

Der offizielle bayerische Herrscher war Kurfürst Max Emanuel, der zwar in der offiziellen wittelsbacher Hofgeschichtsschreibung als Eroberer von Belgrad auch heute noch eine gute Presse hat, im Grunde aber nur ein draufgängerischer Wein-Weiber-Waffenheld war (wie halt die Militärs dieser Welt) und nach seinen vielen Draufschlägereien Bayern finanziell ausgeblutet ver- und hinterlassen hat.

In der Szenerie von „Lieber bairisch sterben“ spielt er mit seinen blauen Truppen auch nur am Rande mit. Hauptfiguren sind die gelben Kaiserlichen und die aufständischen roten (!) Bauern. Als Bauernführer sind sogar explizit ein paar, durch Münchener Straßennamen wohlbekannte Namen wie „Kidler“ und „Plinganser“ erwähnt. Selbst der Schmied von Kochel spielt mit, dem hundert Jahre nach der Schlacht am Sendlinger Berg eine eindrucksvolle Statue errichtet wurde, obwohl diese Figur nachweislich nur eine erfundene Sagengestalt ist. Wasser auf Walters Gebetsmühle: Politiker lügen, Journalisten lügen, Historiker lügen! Alle!

1. “Lieber bairisch sterben”

Ein bewegender Kurfürst
Ein bewegender Kurfürst

Schon vor fast dreißig Jahren – nach Spiele-Lebenszeiten-Maßstab eine urdenkliche Zeit – hat Karl-Heinz Schmiel die wirklichen oder möglichen Abläufe des bayerischen Bauernaufstandes zum Vorbild für ein historisches Kriegsspiel genommen. Die drei Gruppierungen Kaiser, Kurfürst und Bauern rekrutieren Truppen, ziehen sich gegenseitig bekriegend durch ober- und niederbayerischen Gefilde, und bekommen in jeder Runde nach ihrem jeweiligen Eroberungsstand Siegpunkte.

Die Demonstration der Geschichte ist hier aber nur Hintergrund. Der schon damals erfahrene, um nicht zu sagen geniale Spieleautor Schmiel hat die Grundidee mit einer Fülle innovativer Spielemente angereichert, so dass wir hiermit nicht nur KRIEG spielen, sondern vor allem auch Krieg SPIELEN.

Motor des Ganzen sind Chips, die wir Runde für Runde von der Bank kostenlos bekommen. Die Chips gibt es in den Farben der drei kämpfenden Parteien, und wir können beliebig wählen, für welche Partei(en) wir unsere Chips haben wollen. Beliebige Chips können in bares Geld umgewandelt werden, das für den Truppenunterhalt benötigt wird. Partei-spezifische Chips werden zur Truppenbewegung und zum Erwerb von Kampfkarten benötigt. Wer zudem bei Beginn einer Runde von einer Partei die meisten Chips hat, ist ihr alleiniger Lenker und bestimmt alle Aktionen ihrer Kriegsführung:

  • Steuern eintreiben und Sold auszahlen (das geschickt noch automatisch)
  •  Truppen rekrutieren und Truppen hochrüsten
  •  Truppen bewegen und Kämpfe auslösen
  •  Strategie und Taktik innerhalb der Kämpfe steuern
  •  Kampfkarten erwerben, für gewaltige Vorteile beim Kämpfen

Die Kämpfe werden über Manöverkarten und Würfel abgewickelt. Die Manöverkarten bestimmen, welche Einheiten (Reiter, Schützen oder Bauernhorden) schwerpunktmäßig den Kampf tragen, und ob man stürmt, schießt, sturmläuft oder sich zurückzieht bzw. das gegnerische Manöver als „Finte“ neutralisiert. Innerhalb des Kampfes entscheiden Würfel über die Anzahl von erfolgreichen bzw. abgewehrten Treffern, wobei für die verschiedenen Einheiten und für die verschiedenen Manöverarten unterschiedliche Auswertungen des Würfelergebnissen zum Ansatz kommen. Bauernhorden ohne Anführer haben die geringste Wirkung und werden mehr oder weniger leicht weggehauen, Reiter im Sturm oder Hassard (was immer das ist, bei Wikipedia findet man lediglich den Beispielsatz: „die kosacken ham immer einen sog reiterhassard durchgeführt, der darauf abzielte, mit den langen säbeln die köpfe der zuschauer abzusäbeln“) sind am tödlichsten.

Ein wesentliches Merkmal des Spiels ist die Asymmetrie. Jede Partei besitzt unterschiedliche Kriegsziele, d.h. unterschiedliche Städte, deren Besitztum sich in Siegpunkten bezahlt macht. Jede Partei hat unterschiedliche Verfahren, sich aufzurüsten und zu bewegen.

Die bemerkenswerteste Erfindung des Spiels ist der Wechsel bei der Führung der Parteien. Es geht nicht allein darum, mit seinen Truppen eine hervorragende Position zu erringen, man muss auch noch in den nächsten Runden die meisten Chips ihrer Farbe haben. Wenn man nämlich aus einer hervorragenden Stellung heraus die Führung abgeben muss, übernimmt der Nachfolger mehr oder weniger kostenlos die gesamte Substanz, braucht sich kaum zu bewegen, d.h. kaum partei-spezifische Chips auszugeben, und kassiert für das gleiche Besitztum die nächsten und übernächsten Siegpunkte. Umgekehrt, wenn man als Lenker einer Partei kein weiteres Interesse mehr an ihr hat, und auch schon ahnt, dass ein anderer Mitspieler begierig ist, sie zu übernehmen, dann kann man sie noch schnell an die Wand fahren, und dem Nachfolger, der seine Chip-Anforderungen bereits eine Runde vorher anmelden musste, einen Schrotthaufen am Ende der Welt überlassen …

Wie verliefen die Kämpfe diesmal bei uns? In der ersten Runde sicherte sich Helmut den Kurfürsten; ihm genügte als einzigem erfahrenen Baiern fürs Erste die Randfigur; er wollte seine Mittel für seine Überraschungscoups im späteren Spielverlauf schonen. Das wäre ihm sicherlich auch gelungen, wenn Aaron mit den Kaiserlichen nicht einen schrecklichen Vernichtungskampf um Regensburg geführt hätte und damit die Königlichen in der Oberpfalz, weit weg vom Herz des Geschehens, abgesperrt hätte. Walter bekam zu Beginn die Bauern, entfachte mit Hilfe der Mönche großflächige Aufstände im ganzen Lande und konnte mit der Eroberung von Burghausen auch gleich seinen ersten Siegpunkt erringen. Allerdings hatte ihn das soviel Mittel aus seiner Privatschatulle gekostet, dass er in der zweiten Runde die Bauernführung nicht mehr halten konnte. Aaron übernahm sie und vermehrte mit deren vorzüglichem Eroberungsstand seine eigenen Siegpunkte.

Walter bekam auch nicht die Kaiserlichen in seine Hand, hier verlor er im Tie-Break das Bieten gegen Helmut, und da er auch keinen besonderen Anreiz darin sah, seine geschrumpften Mittel bei den Mönchen zu verpulvern, musste er nun verantwortungslos dem Kämpfen seiner Mitspieler zuschauen. Allerdings steckt im Eine-Runde-lang-nur-zuschauen-Müssen nicht soviel spielerischer Frust, wie man das vermuten könnte. Es ist schon sehr spannend zu verfolgen, was die Mitspieler da auf dem Spielbrett veranstalten. Die Bewegung der Truppen und der Ausgang ihrer Kämpfe hat in jedem Fall Auswirkungen auf die eigene zukünftige Planung.

Der Kurfürst marschierte konsequent auf München zu und vertrieb daraus die Kaiserlichen. Die Kaiserlichen zogen sich freiwillig bzw. aus Angst vor ein paar zusammengerotteten Bauern auch noch aus Straubing und Landshut zurück; sie punkteten nur noch in Regenburg. Ihre Lenkung anschließend zu übernehmen, bedeutete, gutes Geld dem schlechtem hinterher zu werfen. Schlecht getimed, Walter!

Ach was gäbe es noch alles zu erzählen über das bairische Leben und Sterben. Dreieinhalb Stunden währte das fröhliche Abmurksen, ohne jegliches Zeter und Mordio unter den Mitspielern. Hinterher waren wir nicht geschafft, dafür gab schon währende des Spielablaufes viel zu viel zu bewundern, zu diskutieren und auch zu kritisieren. Aber zweifelos ist „Lieber bairisch sterben“ ein Kunstwerk! Schon etwas in die Jahre gekommen, aber immer noch unbestritten eine Großtat. Sollen wir bei der Venus von Milo monieren, dass sie keine Arme mehr hat, dass der Faltenrock verrutscht ist, und unter dem Kinn zwei Löcher sind. Schwamm drüber, genauso wie auch über die Ecken und Kanten in Schmiels „lieber bairisch sterben“! Für Beckmesserei ist das Spiel einfach zu genial.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (viele schöne Spielelemente, die auch heute noch beeindrucken; die Mechanismen sind locker, überschaubar, spannend und – überraschenderweise – nicht anstrengend; das Kampfsystem ist allerdings nicht stimmig, doppelt zufallsgesteuert mit zu vielen eingebauten Blockierungen; in dieser Beziehung ist „Friedrich“ sehr viel eleganter),
Walter: 7 (obwohl man eigentlich viele Dinge über mehrere Runden weg vorausplanen sollte, lässt es sich doch auch gut aus dem Bauch heraus spielen; für die grundsätzliche strategische Herausforderung sind leider zu viele, teils kleinlich-peinliche Zufallseffekte eingebaut),
Helmut: 10 (bei aller berechtigter Kritik besitzt das Spiel für den Jahrgang 1988 ein unglaublich innovatives Design, insbesondere der Wechsel in der Führung der Kriegsparteien. Dass wir manches für „unelegant“ halten, liegt einfach daran, dass wir 30 Jahre weiter sind. Es macht heute immer noch viel Spaß! Die vielen heterogenen Spielelemente greifen sehr gut ineinander. Meine Punkte enthalten auch einen Nostalgiebonus für das Lieblingsspiel aus meiner Jugend).

3 Gedanken zu „05.10.2016: Lieber bairisch sterben“

  1. Hallo Walter,

    >> oder Hassard (was immer das ist,

    mich er innert das Wort an die Bezeichnung Hasardeur
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hasardeur

    Und schau mal :-)

    Begriffsherkunft
    Der Ausdruck Hasard (franz. [jeu de] hasard) leitet sich ab von altfranzösisch hasart für „Würfelspiel“, welches sich von arabisch yasara für „würfeln“ ableitet. Bereits im 14. Jahrhundert wurde von Geoffrey Chaucer in den Canterbury Tales ein altenglisches Spiel erwähnt, das als Hasard bezeichnet und mit zwei Würfeln gespielt wurde. Es entwickelte sich mit der Zeit zu einem so beliebten Spiel, dass es im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Synonym für Glücksspiel schlechthin wurde. Heute schreibt sich der englische Begriff Hazard (mit z statt s). In veralteten Ausgaben der deutschen Brockhaus-Enzyklopädie[2] findet sich auch die Schreibweise „Hazard“.

    Das sind einfach gemeingefährliche Würfelspieler! Somit scheint die Welt doch wieder in Ordnung zu sein. Oder? ;-)

    Liebe Grüße
    Nils

  2. Hallo Nils,
    danke für Deine Nachforschungen und die daraus resultierende Information. Reiterhassards sind dann also schlichtweg Scharmützel, bei denen Reiter aus vollem Galopp heraus ihren Gegnern die Würfel an den Kopf werfen. … Kann ganz schön weh tun!
    Viele Grüße Walter

  3. Naja – ich hatte es etwas anders im Sinn.
    Auch damals wurden bei den militärischen Einsätzen in besonders kritischen Fällen Freiwillige eingesetzt. Z.B. beim Stürmen einer Bresche in der Festungsmauer. Diesen Freiwilligen bot man für den Erfolg eine hohe Belohnung im Falle des Überlebens an. In gewisser Weise ein “Glücksspiel” – das vielleicht so manchen Hasardeur in Notlage (Spielschulden) gereizt haben könnte mitzuspielen. Vermutlich waren die überlebenden Hasardeure dann doch ganz schön tödlich für die betroffenen Gegner. ;-)

    Liebe Grüße
    Nils

Kommentare sind geschlossen.